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Das ist das Glück

Erzähltheater von Friedrich Karl Waechter

Die Möglichkeiten des Erzähltheaters sind grenzenlos. Steht der Text bereit, ist die Bühne der Kopf. Ein jeder führt sich selber auf, läßt freien Lauf der Fantasie, realisiert für sich die optimalste aller Welten. Das Erzähltheater hat der Bühne vieles voraus: Es ist immer virtuell und dadurch flexibel, und es ist in besonderer Weise ökonomisch. Ein neuer Plan, eine neue Fabel, neue Darsteller, ein neuer Vorhang oder Hintergrund - alles kein Problem. Die Fantasie ist fantastisch schnell und kommt mit sparsamsten Mitteln aus.

Friedrich Karl Waechters "Erzähltheater" basiert auf Märchenstoffen. Unerfüllbare Wünsche, unerreichbare Ziele, nicht zu bewältigende Aufgaben warten auf seine Helden. Eine grausame Welt, wie in den großen Epen, nur daß F. K. Waechters Erzähltheaterstücke mit den Figuren und Sujets der kleinen Gattungen arbeiten, dem komischen Epos, der Fabel, der Legende, dem Gedicht. Hier geht es um die kleine Welt mit ihren großen Problemen: Jeder falsche Schritt kann die schlimmsten Folgen zeitigen, den Fuß, die Freiheit, das Glück oder das Leben kosten.

Waechter erzählt diese Märchenwelt mit komischen Mitteln. Ökonomie ist hier erstes Gebot. Märchen haben ja ihre eigenen Gesetze: Die Realität des Märchens ist, ähnlich der realen Welt, durch Strukturen der Gleichförmigkeit und Wiederholung charakterisiert. Es war einmal - und es war immer gleich. Und diese ewige Ereignislosigkeit, als Erzählbasis des Märchens, muß auch in der Erzählung selbst abgebildet werden. Ein einziger Erzähldurchgang genügt da zumeist nicht. Erst wird die Vorgeschichte erzählt, sie enthält in nuce schon den Kern des Problems, die Mikrogeschichte, die sich nun anschickt, wiederholt und entfaltet zu werden. Immer nach demselben Muster: Treue wird belohnt, Verrat bestraft. Die Naiven gewinnen die Welt, die Verschlagenen verlieren das Glück und das Leben. Schon hundert Jünglinge sind in den Steinbruch gezogen, um die

Hand der Königstochter zu gewinnen - und haben doch alle nur den Kopf verloren. Nur diesmal muß es anders kommen, so will es das Gesetz des Märchens, und so will es die Poesie.

Auch Waechters Erzählkunst arbeitet ganz gezielt - und besonders auffällig in der "Eisprinzessin" - mit diesem Merkmal der Gleichförmigkeit und der Wiederholung. Und jede Wiederholung hat ihren Sinn, jeder Erzähldurchgang seine Funktion. In der "Eisprinzessin" wird sie, die Gefühlskalte, von ihm, dem verkleideten König, zur Liebesglut verführt. Sie muß dazu eine völlig neue, ihr unbekannte Welt erfahren, und dies geschieht durch Rede und Gegenrede. Der König erzählt, die Eisprinzessin wiederholt und fragt nach, der König antwortet und fährt fort - seine wohlgesetzte Rede flutet durch ihren Körper. Wort um Wort ergreifen von ihr Besitz: "Wir kommen jetzt zum Mund." - "Den hatten wir doch schon" - "Noch nicht ausführlich."

Merkwürdige Händel sind da auszutragen, merkwürdige Pakte sind abzuschließen, merkwürdige Herrschaftsverhältnisse zu überwinden, merkwürdige Helferfiguren treten auf. Bei den alten Frauen hat sich das Wissen sedimentiert. Sie sind häufig die sozialen Figuren, die ohne Vorgabe für den Helden eintreten. Ihr Ziel ist das Rollenspiel: Als Eisprinzessin kann des Teufels Großmutter noch einmal verführerisch jung sein, als König von Sizilien kann sie das Glück noch einmal körperlich spüren: "Was ist unter deinem Bauch? Es ragt hervor." - "Das ist - das ist das Glück. Bei manchen [...] ragt es vor, bei manchen ragts zurück."

Waechter versteht es, Dialoge zu bauen. Mit wenigen Strichen zaubert er eine verteufelt schöne und zugleich unheimliche, morbide Moorlandschaft herbei. Er ist ein brillanter Stab- und Endreimer, in seinen Versen blitzt und klingelt und leuchtet es. In "Das Pferdeauge" laufen die Krieger wie von selbst mit Daktylen und Spondeen in die homerische Schlacht: "Die römischen Reihen in funkelnder Rüstung zum Kampfe formiert."

Einem jeden der zehn Texte ist eine Zeichnung vorangestellt, die wie eine Momentaufnahme, wie eine Interpretation die Texte begleitet und abrundet. Alles im Kleinen, wie es sich von selbst versteht, bescheiden, unauffällig - eben gekonnt.

LUTZ HAGESTEDT

Friedrich Karl Waechter: Erzähltheater. Mit Zeichnungen des Autors. Verlag der Autoren, Frankfurt am Main 1997. 210 Seiten, 28 Mark.

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