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Diszipliniert in den Untergang

Der Bericht eines Überlebenden

Der Untergang der Titanic war nicht nur eine technische Katastrophe, sondern auch ein mediales Spektakel. Journalisten hatten, ohne die Möglichkeit an gesicherte Informationen zu kommen, ihrer Fantasie freien Lauf gelassen.

Lawrence Beesley war einer der 705 Überlebenden der Titanic, einer der ganz wenigen Männer aus der 2. Passagierklasse, die gerettet werden konnten. Er war Hochschullehrer und fühlte sich der Objektivität verpflichtet. Der teils sensationslüsternen Berichterstattung, die er in New York vorfand, vier Tage nach Untergang des Luxusliners, wollte er, mußte er entgegenwirken. Nüchtern sollte sein Bericht sein, "akkurate Information" sollte er enthalten. Beesley beschrieb, was er selber erlebt, und wägte ab, was er nur gehört hatte, und verglich es mit den Aussagen der anderen Überlebenden. Noch am Tag seiner Ankunft in New York übergab er einen ersten Bericht einem Vertreter von Associated Press. Im Juni 1912, innerhalb von acht Wochen, erschien sein Buch bei der Houghton Mifflin Company in London. Von Beesley erfuhr die Welt, wie absolut ruhig und diszipliniert sich Mannschaft und Passagiere in ihr Schicksal ergeben hatten. Die besondere Dramatik des Geschehens wird erst durch seinen nüchternen Blick spürbar. Selbst der bittere "Ausleseprozeß" vor den Rettungsbooten verläuft in äußerster Ruhe. Wenig könnte bizarrer sein als diese geradezu geschäftsmäßige Abwicklung der Katastrophe. Als sei das ganze ein Traum, begleitet das Bordorchester den Untergang, um die "Herzen" der Fahrgäste zu "erfreuen". Liebenswert altmodisch drückt sich Beesley aus. Er wird in seinem Bericht nicht müde, "die Beständigkeit des Normalen während des ganzen Unglücks" zu betonen. Die Normalität der Katastrophe in unserer High-Tech-World wurde später für Hans Magnus Enzensberger zum Grundprinzip seiner Gesellschaftsmetapher vom "Untergang der Titanic" (1978). Lawrence Beesleys Buch ist noch heute spannend und lesenswert. Die wenigen neuen Erkenntnisse, die seither gewonnen werden konnten, hat Rolf-Werner Baak in seinem Nachtragskapitel sachkundig erläutert.

LUTZ HAGESTEDT

LAWRENCE BEESLEY: Titanic. Augenzeuge der Katastrophe. Aus dem Englischen von Rolf-Werner Baak. Schiffahrts-Verlag "Hansa". Hamburg 1997. 248 Seiten, 12,80 Mark. (3-87700-101-7)

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