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Bruder Jakob schläft noch

Über der deutschsprachigen Literaturlandschaft liegt ein großer Thomas-Bernhard-Schatten. Ob in Deutschland, Österreich oder der Schweiz - Bernhards Käuze, Bernhards Suada, Bernhards Sujets ziehen einen breiten Schwanz hinter sich her. Ein Imperium von Epigonen.

"Jakob schläft", der kleine Prosaband von Klaus Merz, erzählt von einer Bernhard-Familie, in der "Kranksein den Vorrang" hat. In schmerzlosen Zeiten fügt man sich selber Schmerzen zu, gießt man sich heißes Wasser auf die Schenkel, schneidet man sich Wunden ins eigene Fleisch.

Eine Familie von Monstren, wie aus Bernhards Welt entstiegen: Kind Renz ist schon bei der Geburt gestorben und schläft, ungetauft, den ewigen Schlaf. Der Vater ist Epileptiker. Franz, Vaters Bruder, zündet sich mit Petroleum die eigenen Hände an, und die Dorfbuben tun es ihm nach: glühender Wundschmerz, Brandmale des Glücks. Auch die Vogelzucht des Großvaters wird durch Brandstifter zerstört, die Katze von Schlafes Bruder mutwillig ertränkt.

Es ist, trotz allem, keine trostlose Welt. Eher eine Welt, in der man Schicksalsschlägen mit Gleichmut, wenn nicht gar mit Witz begegnet. Franz, der Feuerteufel, wandert nach Alaska aus, wo er mit zwei Eskimofrauen zusammenlebt. Er stürzt sich mit einem gestohlenen Flugzeug zu Tode. Die Großmutter betätigt sich als Wunderheilerin, doch Erfolg hat sie damit nicht. Mutter und Schwester des Erzählers sind schwermütig; Schwesters Mann altert schnell, wird klein, mager und blöde. Der Erzähler fährt begeistert Motorrad und scheucht mit der aufgebäumten Maschine die "tatsächlichen Idioten" des Dorfes von der Straße. Rammt, die Gefahr nicht achtend, mit der Schulter eine Fahnenstange: "Ihr loses Drahtseil zog mir einen blutigen Scheitel über den Schädel."

Marietta, die Magd aus Italien, hat eine schöne und eine zerstörte Gesichtshälfte: Ein Soldat hat ihr im Krieg ein Auge ausgeschossen. Also nicht nur die Familie, die ganze Welt scheint krank und kaputt und in Mitleidenschaft gezogen zu sein: grobschlächtig und schrundig, fahl und verwunschen, inzestuös und morbide, und doch liegt ein merkwürdiges Glück über dieser Welt. Zumindest ein Leseglück.

Lutz Hagestedt

Klaus Merz: Jakob schläft. Eigentlich ein Roman. Mit Zeichnungen von Heinz Egger. Haymon Verlag, Innsbruck 1997. 80 Seiten. 29,80 Mark.

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