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Amerikas Literatur ist zu einer marginalen Kunstform geworden

Ulrich Greiner über Autoren der amerikanischen gegenwartsliteratur

Am Ende des 20. Jahrhunderts schaut die Welt wieder auf Amerika: Während in Europa Stillstand und Reformstau herrschen, in Osteuropa und in den Nachfolgestaaten der aufgelösten Sowjetunion die Wirtschaft zusammengebrochen ist, während die ehemaligen Boom-Zentren Asiens in die Rezession schlittern und von neuen Billiglohnländern verdrängt werden, blüht Amerika auf. Es scheint so, als gälte es wieder, das alte Goethe-Wort: "Amerika, du hast es besser."

Ulrich Greiner, ehemals Feuilletonchef der Hamburger Wochenzeitung "Die Zeit", jetzt Kulturkorrespondent und Goldfeder, hat Nord-Amerikas Schriftsteller aufgesucht und zu ihrer Einschätzung der politischen, sozialen und wirtschaftlichen Lage befragt. Denn Amerika, "Godīs own country", hat auch Probleme, ja, sie sind so etwas wie der Spiegel der Welt und ihrer Probleme:

Arbeitslosigkeit, Rassismus, Korruption, illegale Einwanderung, Multikulturalismus, Handelsblockaden für amerikanische Produkte, die Rolle als Hilfspolizei im Nahen Osten und anderswo machen diesem Land zu schaffen.

Wer also die USA begreifen will, so Ulrich Greiner, muß ihre schöne Literatur und ihre Autoren befragen. Illustre Namen sind darunter, Walter Abish,

Paul Auster, Louis Begley, Michael Chabon, Richard Ford, David Guterson – um nur einige zu nennen.

Greiner hat sich auf Amerikas intellektuelle Elite gründlich vorbereitet. So hat er etwa die sozial-historischen Standardwerke von Werner Sombart und Samuel P. Huntington gelesen und diskutiert mit seinen Interviewpartnern die Frage, warum es in den USA nach wie vor keine Arbeiterbewegung gebe. Durch illegale Einwanderung wird ein "schwarzer" Arbeitsmarkt geschaffen, auf den die Unternehmen jederzeit Zugriff haben. Arbeitskräfte zu Sklavenhalterpreisen. In der nervösen, erhitzt geführten Debatte um die Einwanderungsflut werden auch rassistische Argumente wieder hochgespielt.

 

 

Gemeinsam ist den meisten der befragten Autoren die Überzeugung, daß die unkontrollierte Einwanderung den Inneren Frieden des Landes gefährdet. Amerika überlegt, wie es sich stärker abschotten könne gegen den Druck von außen. Das ist das heikle Thema, dessen sich T. C. Boyle in seinem letzten Roman, nicht eben zur reinen Freude seiner Landsleute, angenommen hat.

Alle Autoren bekommen von Ulrich Greiner dieselben Fragen vorgelegt und werden auch mit den Antworten ihrer Kollegen konfrontiert. Das ergibt ein dichtes Gewebe der verschiedenen Standpunkte und Argumentationsweisen. Wenn auch die meisten der befragten Schriftsteller der demokratischen Partei nahestehen, so gehen doch viele Überzeugungen quer durch das politische Spektrum. Zum Beispiel die Überzeugung, daß das amerikanische Modell der Sozialfürsorge versagt habe: Wenn man Menschen auf Dauer alimentiert, werde das soziale Gefälle festgeschrieben und vergrößert. Besorgt ist man auch über den staatlich verordneten Minderheitenschutz, denn das ungewollte Resultat der Sorge für ethnische Minderheiten ist Rassismus. Optimistisch scheint da allein Charles Johnson zu sein, ein schwarzer Melville, dessen Sklavenschiff-Roman "Die Überfahrt" auch ins Deutsche übertragen wurde.

Ulrich Greiners Buch arbeitet die unterschiedlichen Temperamente seiner Gesprächspartner sehr gut heraus. Am eindrucksvollsten ist vielleicht die leise, zurückhaltende, aber auch genau und entschieden argumentierende Joan Didion. Der hippelige T.C. Boyle steigert sich immer heftiger in die eigenen Wortkaskaden hinein. Und dem behäbigen Grandseigneur Edgar Lawrence Doctorow ist seine Intellektuellen-Rolle sichtlich unangenehm.

In Ulrich Greiners Buch wird eines deutlich: Amerikas Autoren sind in ihrem eigenen Land bereits zur Unterhaltung marginalisiert. Eine Funktion, die sich auch für ihre deutschen Kollegen ankündigt. "In der Öffentlichkeit", sagt

Michael Chabon, "haben die Schriftsteller abgedankt." Lutz Hagestedt

    Ulrich Greiner: Gelobtes Land. Amerikanische Schriftsteller über Amerika.
    Rowohlt Verlag, Reinbek 1997, 282 Seiten, 39,80 Mark.

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