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Momente der Irritation

Gyrðir Elíasson: Papierbooteregen. Erzählungen. Aus dem Isländischen von Sæmundur G. Halldórsson und Gert Kreutzer. Kleinheinrich, Münster 1997. 102 Seiten, geb., 48 Mark.

In Island lebt es sich langsamer, und doch geht das Leben vorüber: Fast jedes Ereignis ein Todesfall. Der 1961 geborene Erzähler Gyrðir Elíasson wählt für seine Geschichten eine bedächtige Gangart: "Tycho Brahe, der Hund, kam schnüffelnd halbblind durch den Flur und legte sich unter den Tisch [...]. Heida schob ihm ein Stück Kandis hin, das unter der Tischplatte dankbar angenommen und mit Begeisterung gekaut wurde." Der Leser erlebt den Hund, auch wenn er ihn nicht sieht.

Sorgfalt und Gemächlichkeit, die Liebe zum Detail, zur genauen Charakterstudie, zum sparsamen Genrebild bestimmen Elíassons Prosa. Doch beschaulich ist diese Welt nicht: In der Erzählung "Ein Holzfisch" stürzt ein Flugzeug im Nebel auf die lange Bergkette, wird Tycho Brahe erschossen und ertrinkt dem Großvater die Enkelin. Auf die Idylle der Sommerfrische folgen harte Nackenschläge des Herbstes nach. Ein junges Mädchen ertrinkt auch in der Erzählung "Antennen", der Großvater stirbt und meldet sich als "Wiedergänger" zurück. Mit Unbehagen steht der Erzähler Elvar Jórnassen ("Ein Flügelmensch") vor einem Grabstein mit dem eigenen Namenszug.

Elíasson arbeitet gern mit phantastischen Elementen, die wir versucht sind, >bildlich<, sprich: >realistisch< zu lesen. Doch zu dieser Welt gehört das Geheimnis, sie ist quasi exotisch, es gibt unerklärliche Reste in ihr, Momente der Irritation. Das soll so sein und muß so sein.

LUTZ HAGESTEDT

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